LOMU Hamburg: soziale Experimente und Aktionen zu Technologie, Kunst, Politik, Gesellschaft, Globalisierung, Regionalisierung, Globalisierungskritik, Schwarmintelligenz, …konomie, Situationismus, Utopie, Stadtentwicklung, UrbanitŠt, Zukunftsvisionen, Futurologie, Trendforschung, Kapitalismuskritik, Web 2.0, Community
LOMU Hamburg: soziale Experimente und Aktionen zu Technologie, Kunst, Politik, Gesellschaft, Globalisierung, Regionalisierung, Globalisierungskritik, Schwarmintelligenz, …konomie, Situationismus, Utopie, Stadtentwicklung, Urbanität, Zukunftsvisionen, Futurologie, Trendforschung, Kapitalismuskritik, Web 2.0, Community


Fallrückzieher Ecke Wilhelmsburg – die Aktion


Die Vorgeschichte

LOMU war gerade dabei, eine neue Aktion anzuschieben, als vom Kunst- und Sportverein Wilhelmsburg die Anfrage kam, diese vielleicht in dessen Rahmen zu machen. Der Kunst- und Sportverein ist ein Gemeinschaftsprojekt von IBA und Kunstverein. Nun haben sich anfänglich viele Künstler an den Kulturprogrammen der IBA beteiligt. LOMU z.B. an der "Kirche des guten Willens". Das war 2007. Drei Jahre später – und ein Jahr nach Entstehung des Netzwerks Recht auf Stadt, zu dem LOMU gehört – ist die Frage der Beteiligung an IBA-Projekten für viele hochproblematisch geworden.



Die Mailänder Künstlergruppe Museo Aero Solar hat die Problematik sehr gut dargestellt, als sie im Mai in einem offenen Brief ihre Teilnahme an einer IBA-unterstützten Ausstellung absagte. Was für einen Sinn soll es haben, wie Aliens auf der Elbinsel einzufallen und als schmückendes Beiwerk eines Aufwertungsprozesses zu dienen, den die IBA massiv angeschoben hat?

LOMU beschloss deshalb, die IBA selbst zum Thema zu machen – wohl wissend, dass man auch damit nicht das Problem grundsätzlich durchbrechen kann. Die IBA ist wie eine Gummiwand: Man kann draufhauen, so viel man will – am Ende steht sie genauso da wie vorher. Fatalismus bewirkt aber auch nichts. Die Hoffnung, das IBA-Gewitter könne ausgesessen werden und irgendwann sei der Spuk vorbei, ist trügerisch. Es spricht viel dafür, dass 2013 die IBA eine "Irreparable Bevölkerungs-Aufwertung" hinterlassen wird. Wilhelmsburg wird nicht mehr so sein wie vorher, und die Bewohner werden darüber nicht selbst entschieden haben.

Die Aktion

Am 26. Mai fand im Bürgerhaus Wilhelmsburg ein weiterer IBA-Bürgerdialog statt. LOMU konnte dort den wohlfeilen Worten von IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg lauschen. Der versicherte den Bürgern "Wohnen heißt bleiben". Man schiebe keine Gentrifizierung an (wird auch in den IBA-FAQ versichtert). Die IBA-Bauten lägen alle im Hochpreis-Segment, von daher würden sie keine Verdrängung der bisherigen Mieter auslösen. Im übrigen habe man als IBA keinen Einfluss auf den Immobilienmarkt.

Hellweg ist sicher intelligent genug zu wissen, dass das kompletter Unfug ist. Gentrifizierung wird auch gerade dadurch angestoßen, dass in Stadtteilen hochpreisige Ankerpunkte entstehen, die die Mieten der umliegenden Häuser hochziehen. Der ganz normale Kapitalismus eben. Neil Smith und andere Stadtforscher haben dies theoretisch ausführlich untersucht und mit Daten belegt.

Wenn man die IBA genauer anschaut, ist sie ein Beispiel für den neuen "grünen Neoliberalismus", der im Anrollen ist. Man nimmt das Gebot der Nachhaltigkeit ernst, entfernt aber die soziale Komponente aus dem Nachhaltigkeitskonzept und pusht alles, was grün, öko, bio ist, als neuen Wachstumsmarkt. Das kommt in den drei Leitthemen der IBA zum Ausdruck: Sie beschäftigen sich mit Klimawandel und Energie, der Inwertsetzung von "inneren Stadträndern" und mit einer "internationalen Stadtgesellschaft" (Migration muss schließlich kontrolliert werden).

Sicher sind dies Themen, denen sich jede künftige Stadtentwicklung stellen muss – und um die geht es bei den Internationalen Bauausstellungen schließlich, nicht nur um Architektur. Ein Megathema der Stadt von morgen ist aber die Frage, wie sie sozial wird. Wie alle mit ihren unterschiedlichen Lebensentwürfen, unabhängig vom Geldbeutel, die Stadt sind - gemeinsam, nicht immer harmonisch, aber in der Vielfalt gerade das, was die Essenz von Stadt ist.

LOMU verfasste daraufhin eine Hauswurfsendung für die IBA mit der Ankündigung: "IBA startet 4. Leitthema: 'sozialer und bezahlbarer Wohnraum'" (nachzulesen hier). Rund 4000 Stück wurden in Wilhelmsburger Briefkästen verteilt. Die Bewohner wurden darin auch eingeladen, am Glaspavillon hinter den Veringhöfen über ihre eigenen Erfahrungen mit Mietsteigerungen infolge der IBA zu berichten.


Das Ergebnis

Dass die Wilhelmsburger nicht in Scharen herbeiströmen würden, war klar. Es ist oft eine stille Wut auf der Elbinsel, die sich nur gelegentlich entlädt. Einige kamen an den beiden Nachmittagen aber doch vorbei und erzählten.

So hat der Bauverein Reiherstieg e.G. – ein IBA-Partner – in 200 seiner 1300 Wohnungen die Nettokaltmiete im vergangenen Jahr um 20 Prozent erhöht. Auf der Hauptversammlung, hörten wir, wurde dieser Schritt explizit mit dem positiven Einfluss und der beginnenden Aufwertung durch die IBA begründet! Interessanterweise hat der Bauverein seine Selbstverpflichtung zu sozialem Wohnen inzwischen aus der Präambel gestrichen. Das mag auch daran liegen, dass die Genossenschaft, die der Bauverein eigentlich ist, zu 70 Prozent fremdfinanziert ist, wie wir hörten. Schuldenfrei wird der Bauverein erst in vielen Jahrzehnten sein. Abkürzen lässt sich das nur, indem in den nächsten Jahren die Mieten kräftig steigen.

Die Schiffszimmergenossenschaft in der Fährstraße ist ebenfalls dazu übergegangen, die Mieten anzuziehen. Nach einer Wohnungssanierung steigt die Miete nun um 15 Prozent. Langjährige Mieter, die innerhalb des Gebäudeensembles in eine andere Wohnung ziehen, sind von dieser Mieterhöhung nicht ausgenommen.

Im Gaswerkweg wurde bei der Neuvermietung einer Dachwohnung ohne Renovierung die Miete von 648 auf 705 Euro angehoben.

In einer Wohnung im Rotenhäuser Damm ist die Miete seit 2006 jährlich um 3,2 bis 6,4 Prozent erhöht worden, insgesamt um 19,2 Prozent. Warm beträgt sie inzwischen knapp 10 Euro pro Quadratmeter.

Natürlich ist dies keine fundierte Datenerhebung, sondern nur eine Momentaufnahme. Aber vermutlich dürfte es noch viel mehr solcher "Momente" in Wilhelmsburg geben.

LOMU erfuhr später per Zufall, dass tatsächlich ein paar wütende Bürger direkt bei der IBA angerufen haben – so wie in der Hauswurfsendung vorgeschlagen.



Am Glaspavillon wurden am 19. und 20. Juni wie immer auch fünf Fragen gestellt und Thesen präsentiert. In einer Collage zeichneten die paar Unverzagten (es war durchwachsenes Wetter und WM) ihre Wünsche von Wilhelmsburg: "Mein Wilhelmsburg geschehe". Die wurden später von zwei kleinen Jungen mit breiten Pinselstrichen veredelt.



Wer noch weitere Informationen über IBA-bedingte Mietsteigerungen in Wilhelmsburg hat, kann die gerne an LOMU schicken. Wir sammeln sie und können sie dann im Recht-auf-Stadt-Wiki veröffentlichen. Oder natürlich auch direkt an IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg.


Den treffendsten Satz zur IBA haben wir auf dem Bürgerdialog am 26. Mai gehört. Eine Bewohnerin sagte dort: "Ich fühle mich hier wie in einem besetzten Land." Die Besetzung dauert noch drei Jahre. Vielleicht werden sie doch nicht ohne breiten Widerstand verstreichen.


Mehr zur IBA-Problematik

Der Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg setzt sich seit 2007 kritisch mit der IBA Hamburg auseinander. Wer mehr über Hintergründe, Probleme und Auswirkungen wissen will, dem sei das ausführliche Papier "Die Insel denen, die darauf wohnen" empfohlen.



LOMU beim Kunst- und Sportverein
Wilhelmsburg


Die Aktion
Die IBA-Hauswurfsendung
Umfrage



LOMU ist ein nicht-kommerzieller Aktionsbetrieb und wird derzeit ausschließlich von den Lomunauten getragen.