LOMU Hamburg: soziale Experimente und Aktionen zu Technologie, Kunst, Politik, Gesellschaft, Globalisierung, Regionalisierung, Globalisierungskritik, Schwarmintelligenz, …konomie, Situationismus, Utopie, Stadtentwicklung, UrbanitŠt, Zukunftsvisionen, Futurologie, Trendforschung, Kapitalismuskritik, Web 2.0, Community
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Spieltheorie gestern und heute

Erkenntnisinteresse und Werdegang

Im Spiel, wie im Leben versucht jeder, schlauer zu sein als die anderen. Welche Strategien werden dabei benutzt und welche wären optimal – das ist Gegenstand der Spieltheorie.

Spieltheorie befasst sich mit Situationen, die Entscheidungsprobleme beinhalten, in denen  Konflikt oder konkurrierende Interessen eine harmonische Lösung erschweren. In solchen Situationen häng der Erfolg des Einzelnen nicht nur vom eigenen Handeln ab, sondern auch von den Aktionen anderer Spieler.

Besonders Ökonomen und Politologen verwenden spieltheoretische Modelle, um etwa das Verhandlungsverhalten von Wirtschaftsteilnehmern oder die Abschreckungsstrategien von Atommächten zu untersuchen. Unter spieltheoretischer Perspektive fragen Soziologen: Wie kommt es dazu, dass in sozialen Gruppen Normen entstehen, und wann unterwerfen sich die Gruppenmitglieder diesen Regeln, wann nicht? Auf den ersten Blick unvernünftig erscheinende Verhaltensweisen für die einzelnen Spieler erweisen sich dabei oft als rentabel, wenn die strategischen Interdependenzen berücksichtigt werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Gefangenendilemma.

Ein anderes häufig untersuchtes Phänomen ist das Trittbrettfahrer-verhalten, welches im so genannten Public-goods-game untersucht wird. In der Feldforschung erweist sich oft, dass soziale Sanktionen unterschiedlicher Härte - von der Zurechtweisung bis hin zur völligen sozialen Isolierung - eingesetzt werden, um Normabweichungen und Trittbrettfahrerverhalten in sozialen Dilemma-Situationen zu bestrafen. Soziale Dilemmata sind durch ein Auseinanderklaffen von Eigen- und Kollektivinteresse gekennzeichnet. Sie sind allgegenwärtig: So unterschiedliche Dinge wie Teamarbeit, die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen, das Engagement in Interessenvertretungen, private Umweltschutzmaßnahmen, die Bewirtschaftung von Allmende-Ressourcen, oder die Aufrechterhaltung eines Kartells, beinhalten (strategische) Entscheidungsprobleme zwischen Eigennutz und Gemeinwohl.

Die Geschichte der Spieltheorie als eigenständige Wissenschaft beginnt 1944 mit der Veröffentlichung von "Theory of Games and Economic Behavior" von John von Neumann und Oskar Morgenstern. Die Wurzeln der Spiel-Forschung sind jedoch schon beim  französischen Mathematiker und Politiker Émile Borel (1871-1956) zu finden, der kurze Aufsätze über Glücksspiele und Spieltheorien verfasste. Aus dieser Tradition kommt auch die Terminologie, mit Begriffen wie Spiel, Partie und Auszahlung.

In der Geschichte finden sich erste Anwendungen in der politischen und militärischen Planung. 40 Jahre lang wurden die Strategien im Kalten Krieg mit ihrer Hilfe entschieden. Die START I und II Verträge zur Abrüstung von Nuklearwaffen zwischen den USA und der UdSSR wurden auf beiden Seiten mehrheitlich von Spieltheoretikern ausgearbeitet.

Annahmen und Anwendungen

Der Mensch sei ein vernunftbegabtes Wesen und nur auf seinen Eigennutz aus. Dieses  Musterbild nannten die Ökonomen Homo oeconomicus und entwickelten darauf basierend die meisten ihrer Theorien.

Das Konzept des Homo oeconomicus versteht den Menschen als Träger individueller Präferenzen, anhand derer er unter Ausnutzung aller verfügbaren Informationen seine Entscheidungen trifft. Jede Handlung des Homo oeconomicus werde allein durch die Maximierung des persönlichen Nutzens auf Basis rationaler Überlegungen determiniert.

Unter dieser Prämisse, müsste man jedoch folgerichtig erwarten, dass kooperatives Verhalten nicht lohnt, da man beispielsweise von den Umweltschutzanstrengungen anderer profitieren könnte, ohne selbst aktiv zu einer Verbesserung der Umweltqualität beizutragen.

Allerdings handeln Menschen mitnichten so, wie es die Modelle der Spieltheorie als Optimum vorgeben. Ständig funken scheinbar irrationale Verhaltensweisen dazwischen. Fairnessempfinden, Altruismus, Gier, Neid und Belehrungswille bringen Menschen dazu, sich anders zu verhalten.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler wie der Soziologe Herbert Simon, dieses rationale Menschenbild zu hinterfragen. Sein Modell der Begrenzten Rationalität beeinflusste viele andere Wissenschaftler, die sich mit Verhaltensmodellen auseinander setzten. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Spieltheorie zur Universaltheorie.

1985 veröffentlichte der Mathematiker und Politikwissenschaftler Robert Axelrod das Buch "Die Evolution der Kooperation", in dem er darlegte, wie sich in bestimmten Situationen Kooperationsstrategien durchsetzen. Diese so genannte evolutionäre Spieltheorie wurde wiederum für Biologen interessant, sodass auch die moderne Evolutionstheorie spieltheoretische Elemente enthält. Die so genannte Soziobiologie behilft sich der Spieltheorie, um das altruistische Verhalten im Tierreich zu beschreiben. Das Konzept der "Evolutionary Stable Strategy" wurde von John Maynard Smith 1974 eingeführt und brachte die evolutionäre Spieltheorie einen großen Schritt vorwärts.

Als 1994 der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Selten gemeinsam mit John Nash (s. Nash-Gleichgewicht) und John C. Harsanyi den Nobelpreis für seine spieltheoretische Forschung bekam, war die Theorie wissenschaftlich geadelt.

Die neue ökonomische Verhaltensforschung, auch empirische Wirtschaftsforschung genannt,  hat das Bild des Homo oeconomicus radikal in Frage gestellt und durch Experimente widerlegt. Daniel Kahneman, der Wirtschafts-Nobelpreisträger 2002, entwickelte auf Basis von Laborexperimenten die „Theorie der nervösen Frösche“, nach der Menschen ihre Entscheidungen oft spontan treffen – weniger rational, sondern vielmehr situationsbedingt. Menschen neigen dazu, neue Informationen zu übercshätzen und zu stark zu gewichten.
Axel Ockenfells vom Max Planck Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen hat mit seinem Kollegen Gary E. Bolton die ERC – Theory of Equity, Reciprocity and Competition aufgestellt. Von seinen Experimenten ausgehend, kommt er zu dem Ergebnis, dass die Spieler neben Eigennutz auch ihre relative Auszahlung motiviert. Die Spieler sind bereit zu kooperieren, wenn der andere dies auch tut. Es gibt viele Menschen, die sich reziprok verhalten und sich dadurch finanziell besser stellen, als es der Homo oeconomicus jemals könnte.

Offene Fragen

So werden vielerorts Versuche durchgeführt und Hypothesen aufgestellt. Hirnforscher und Festkörper-Physiker schalten sich ein. Die Simulation menschlicher Verhaltensweisen am Computer ähnelt einem bekannten Modell aus der Festkörperphysik derart, dass man sich in Zukunft genauere Rückschlüsse von dieser Disziplin auf die Sozialwissenschaften erhofft.  

Doch eine zufrieden stellende Aufklärung über viele der genannten Fragen, geschweige denn eine verlässliche Voraussage des Verhaltens bei konfligierenden Entscheidungsproblemen sind noch lange nicht in Sicht.

Einerseits empfinden wir es als völlig natürlich unsere Interessen zu vertreten, unsere Präferenzen auszuwählen und den Nutzen daraus zu maximieren. Doch wie ist diese Einstellung auf lange Sicht und unter der Annahme unserer sozialen Veranlagung haltbar? Braucht es mehr Toleranz für Egoisten oder mehr Fairness fürs Gemeinwohl?

Wie ticken wir wirklich: rational oder nicht? Kann sich Kooperation gegenüber Eigennutz durchsetzen? Ist das so allgemein überhaupt wünschenswert? Denn Kooperation kann für die Gesellschaft als Ganzes auch schädlich sein, beispielsweise wenn dadurch Kartelle oder kriminelle Organisationen aufrechterhalten werden.

                              Agnieszka Krzeminska, Hamburg, Februar 2007

[Teile des Textes dürfen unter Angabe der Herkunft verwendet werden]

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