Respekt vor dem Künstler!
Eine Erwiderung auf Alejandro Soto von nbo
Am vorletzten Tag unserer Let's-Beuys-Aktion fand ich im SKAMraum eine Notiz von Alejandro, auf der stand, er sei mit der Aussage meines Textes "Mach das selbst!" nicht einverstanden. Wir diskutierten dann lange darüber. Alejandro hatte Recht mit seiner Kritik, der Text sei zu ungenau und man könne ihn falsch verstehen. Und was ist mit dem Respekt vor dem Künstler? Deshalb will ich hier meinen Gedanken noch weiter auszuführen.
Wenn wir im Obertitel der Aktion "Kein Respekt vor der Kunst" geschrieben haben, war das sicher auch eine Provokation. Aber was steckte dahinter?
Ich will nicht versuchen, Kunst oder Nichtkunst erschöpfend zu definieren und schon gar nicht an irgendwelchen Fertigkeiten fest machen. Daran beißen sich seit Jahrzehnten alle möglichen Zeitgenossen die Zähne aus. Ich möchte hier aber zwei Bedeutungen von Kunst vorstellen:
Unter "Kunst" verstehe ich zum einen die gesellschaftliche Institution Kunst, wie sie sich endgültig seit Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. In dieser Zeit wurde eine Trennung vollendet, die in der Renaissance begonnen hat: zwischen dem Ausdruck, wie er in der Bildenden Kunst gepflegt wird, und der in die Ingenieurwissenschaften abgewanderten technischen Konstruktion, die eine der Voraussetzungen für den Kapitalismus wurde. Aber der Künstler ist dem Kapitalismus nicht entkommen: Er ist wie alle anderen gezwungen, seine Werke auf einem Markt zu verkaufen. Alle Versuche von Künstlern, durch eine schöpferische Zerstörung der klassischen Kunstkriterien die Autonomie der Bildenden Kunst zu wahren, sind in meinen Augen gescheitert. Der Kapitalismus giert nach Neuem, und jede Provokation wird in kürzester Zeit in eine Ware verwandelt. Das diskreditiert die Kunst als Institituion nicht, hat sie aber auf ein menschliches Maß zurückgestutzt.
Von diesem Kunstbegriff unterscheide ich nun "KUNST" (zur besseren Unterscheidung in Großbuchstaben): die Art und Weise, auf die der Künstler die Welt angeht und in einem schöpferischen Akt transformiert, sei es in Objekten oder Prozessen. Er arbeitet nicht nur eine Wahrheit heraus, er stellt sich der Materie, dem Sein in einer subjektiven, von niemandem verordneten Weise, mit einem Ziel, das für sich selbst steht. Das ist die eigentliche und großartige Autonomie des Künstlers, und diese gehorcht in ihrem Kern nicht der kapitalistischen Logik, Ressourcen effizient in eine Ware umzuwandeln, die auf einem Markt Geld erbringt.
Wenn ich sage "im Kern", bedeutet dies, dass der Künstler auf dem Kunstmarkt de facto natürlich doch gezwungen ist, eine Ware anzubieten, wenn er nicht seinen Lebensunterhalt mit einem öden Brotjob verdienen will. Sein Stil, seine Handschrift erfüllt in diesem Kontext dieselbe Funktion wie eine Marke. Wie sehr er oder sie sich darauf einlässt, mag variieren. Das Dilemma lässt sich aber nicht auflösen, jedenfalls solange der Kapitalismus besteht.
Ich interpretiere nun Beuys' Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler" im Sinne der zweiten Bedeutung. Jeder Mensch hat das Recht und das Potenzial, sich der KUNST zu verschreiben. Beuys' Satz ist selbstverständlich keine Tatsachenbeschreibung, sondern eine programmatische Forderung, die den Kern seiner gesellschaftlichen Utopie bildet. Nur dadurch, dass jemand auch mal ein Bild malt, wird er noch nicht automatisch zum Künstler. Es kann aber der erste Schritt sein, unsere allein auf das Funktionieren und Rechnen konditionierte Existenz zu überwinden.
Beuys sagte in der berühmten Podiumsdiskussion 1970 mit Max Bense, Arnold Gehlen und Max Bill, von der wir am letzten Abend Ausschnitte gezeigt haben: "...wie ist es berechtigt zu sagen: Jeder Mensch ist ein Künstler? Ich kann es auch jetzt nur im Anbeginn als ein Schematisches darstellen, indem ich sage, hier ist das Künstlerische und die Definition, so wie sie hier gestellt ist: Jeder Mensch ist ein Künstler, gleichzusetzen in dem Sinne: Jeder Mensch ist ein Kreativer."
Beuys wies die ästhetischen Kriterien des klassischen Kunstbegriffs nicht zurück, aber sie bildeten nur noch eine Unterabteilung im größeren Kunstkomplex, den er mit Kunst/Antikunst bezeichnete. Sein Ansatz ging über den irgendwie bildhaften Ausdruck hinaus es geht ihm nicht um ein Werk, das man betrachtet, sondern um den Prozess. An einer anderen Stelle in der Diskussion sagte er sehr schön: "Ich möchte sagen, Sie versaufen in Sinnesreizen. Meine Idee von Antikunst bezieht sich aufs menschliche Denken. ...mir kommt es darauf an, erkenntnistheoretisch den Punkt zu finden, an dem der Mensch sich als ein freischöpferisches Wesen erkennt, indem er sich erkennt, daß er nicht ein Abhängiger ist im gesellschaftlichen Getriebe."
Beuys ging es meines Erachtens um die KUNST, wie ich sie oben skizziert habe, nicht um die Kunst als gesellschaftliche Institution, wie wir sie heute in Hochschulen, Akademien, Museen und Galerien verkörpert finden. In diesem Sinne möchte ich das Motto unserer Aktion noch konkretisieren:
Kein Respekt vor der Institution Kunst, denn sie ist nur eine Angelegenheit von vielen, die mal besser, mal schlechter gelingt.
Aber Respekt vor der KUNST und allergrößten Respekt vor dem KÜNSTLER! Denn er ist im Prinzip das subversive Gegenmodell zum rationalen Homo Oeconomicus des Kapitalismus. Auch wenn er seine Werke verkaufen muss, macht er uns doch in seinen Handlungen vor, das schöpferische Befreiung möglich ist.
Was mich nicht beeindruckt, ist hingegen die elitäre Vorstellung, der Künstler würde die ästhetisch Unbedarften bereichern und sei deshalb etwas Besonderes. Diese Vorstellung finde ich reaktionär, weil sie auf eine Berufsspezialisierung abhebt, die uns Dekoration oder Provokation verkauft. Das Ergebnis kann großartig sein, keine Frage, aber es ist eben nur eine Warenform mehr im unendlichen Konsumangebot. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen.
Eine Motivation von LOMU ist, zu untersuchen, welche Wege aus dem Kapitalismus hinausweisen. KUNST ist einer davon. In diesem Sinne haben wir die Aktion "Let's Beuys" gemacht: als einen möglichen Anfangspunkt für Subversion und Befreiung und nicht als billiges Spektakel, um Künstlern eine lange Nase zu zeigen, indem wir unsere "dilettantischen" Versuche in eine Galerie schmuggeln und uns dann auf die Schulter klopfen "das können wir auch". Da mach dir mal keine Sorgen, Alejandro..
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