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Das Community-Experiment "FreePort"

Die Ankunft in einem neuen gelobten Land ist noch nie Zuckerschlecken gewesen. Niemand wartet auf einen, aber die Behörden sind immer schon da. Das war früher auf Liberty Island vor New York City schon so und ist auch in FreePort nicht anders, dem Land, das wir am Ausgang des Alten Elbtunnels entdeckt haben.

Einer der Mutigen, die sich ins Immigration Office wagen, stellt etwas überrascht fest: "Uns erwartet zunächst keine Erfrischung." Natürlich nicht. Stattdessen ein Einwanderungsbeamter, der nicht lächelt, wie überall auf der Welt. Den Neuankömmlingen drückt er, nachdem sie die Einreisebedingungen gelesen haben, ein Tagesvisum in die Hand. Ausfüllen! Während der künftige FreePortler mit gefurchter Stirn noch über Angaben wie "Mein persönlicher Traum" oder "Einstellige Quersumme des Geburtsdatums" brütet, wird er von der nächsten Beamtin eingekleidet. Weißer Papieroverall, wahlweis zwischen XL und XXXL.
Ab jetzt sind alle – fast – gleich.



Das ausgefüllte Visum mit Profil wird auf den Overall geklebt, und man sieht eine gewisse Erleichterung in den Gesichtern: Die Einreise ist geschafft. Auch ohne Erfrischung.

Dann kommt die entscheidende Frage: In welcher
Region willst du eine Community mit begründen? Zur Auswahl stehen:
– der Ozean
– der Gipfel
– der Dschungel.
Drei Orte, die auf dem Gelände der ehemaligen Zollstation verteilt sind.

Etwas ratlos steuern die meisten Neuankömmlinge auf ihre Communities zu. Alle haben ein "Sozial-Tool" mitgebracht, einen Gegenstand, der vielleicht zu irgendetwas nützlich sein könnte, manche halten sich noch ein wenig verlegen daran fest. Face to face eine Gruppe zu starten, ist offenbar doch schwieriger als online – erst recht, wenn es kein Entertainment gibt, von dem man sich mitreißen lassen kann.

Die Ozean-Community kommt als erste in Gang, dank einer als Sozial-Tool mitgebrachten Gitarre, und lernt den am Vorabend geschriebenen Hit "Duscht kalt". Auf dem Gipfel wird geredet und Bier getrunken. Im Dschungel versucht ein Kommunarde seine Genossen auf spirituelle Pfade zu bringen. Auch im Ozean besinnt man sich und meditiert im Yoga-Sitz.


Ozean/Kalt Duschen            Gipfel                                       Dschungel/Die Wahren

Nach anderthalb Stunden dann die erste Störung. Ein FreePort-Beamter ruft ein "Bonus-Programm" aus: Für jeden aus einer anderen Community abgewordenen Kommunarden gibt es einen Stempel und eine Belohnung. Während sich Ozean – die Gruppe hat sich inzwischen die Identität "Duscht kalt" gegeben – und Gipfel unbeeindruckt von dieser billigen, bei Online-Dienstleistern abgeguckten Animation zeigen, werden die Dschungel-Kommunarden aktiv. Mit einem buddhistischen Spinnrad im Arm ziehen sie los. Und siehe da: Nach und nach laufen einige andere zu ihnen über. Behaupten sie zumindest.

Die Communities werden immer amorpher. Vor allem zwischen Ozean und Gipfel ist ein reger Austausch von Personen in Gang gekommen. Kinderwagen werden verschoben, man sitzt hier und steht auf ein Bier da beieinander. Einzig die Dschungel-Kommunarden lassen nicht locker. Jetzt haben sie kleine Wasserbomben aus Luftballons gebaut. Aber nicht als Drohung, nein ganz geschickt bieten sie sie anderen Kommunarden als Geschenk an, damit sie die Community wechseln. Quasi ein Offline-Äquivalent zu 5 Gigabyte Extraspeicher, die natürlich bei 30 Grad im Schatten nichts bringen, Wasserbomben aber durchaus.

Während sich alles in ein schwer zu durchschauendes Gewusel verwandelt – wobei Gewusel nach Geschwindigkeit klingt, hier aber alles ganz, ganz langsam abläuft –, ziehen betörende Düfte durch FreePort. Eine bisher unbekannte Community von Jägern hat in der Savanne begonnen, Fleisch zu grillen. Es dauert keine 20 Minuten, bis sich sämtliche Kommunarden um den Grill versammelt haben und dabei die Mutter aller Communites bilden. Wer Fleisch will, muss etwas vorsingen. Davon lässt sich allerdings niemand abschrecken.



Dann schlägt die FreePort Authority wieder zu: "Statistische Wartungsarbeiten"! Alle werden gebeten, sich wieder in ihre Communities zu begeben, um sich zählen zu lassen. Die meisten Kommunarden folgen der Anweisung und verlassen den Grill. Das Ergebnis:
Ozean/"Kalt Duschen": 14 Mitglieder
Gipfel: 14 Mitglieder
Dschungel/"Die Wahren": 5 Mitglieder.

Zehn Minuten später ist die Grill/Savannen-Community wieder hergestellt. Sie löst sich erst in der Nacht wieder auf.


Wie verschiedene Kommunarden das Experiment selbst beschrieben haben, könnt ihr hier lesen. Mehr Fotos gibt's hier.

LOMU #6

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